Schreibhaus - Neustart als Verein oder was?
Wieviel Scheren sind im Kopf? Was muss man tun, um literarisch aktiv zu werden? Muss man einen Verein gründen? Einen Verlag finden? Gewerbe anmelden und als Verleger in Erscheinung treten? Wer sich diese Fragen stellt, ist schon verloren, verraten und verkauft, im Anbeginn seiner Aktivität schon gescheitert!Wer nach einer Körperschaft für seine Idee sucht, verfängt sich leicht im Stacheldraht der Formalitäten. Wieviel Mitglieder bedarf es zur Gründung eines Vereins? Wie muss eine Vereinssatzung aussehen? Wer bestimmt über die Gemeinnützigkeit dieser Körperschaft? Und eigentlich ist es nun fast schon nicht verwunderlich, dass die Frage: „welche Vorteile hat diese Körperschaft für die einzelnen Mitglieder?“ gar nicht als erste auftaucht.
Statt dessen kann man darüber diskutieren, wieviel Mitglieder der Vorstand haben muss. Muss es überhaupt einen Vorstand geben? Welche Idee treibt einen heutzutage überhaupt noch an, sich aktiv mit Literatur zu beschäftigen - und „aktiv“ heißt in diesem Fall nicht „lesend“, denn diese Form der Beschäftigung mit Literatur ist rezeptiv und im hiesigen Sinne passiv, obwohl natürlich diese Aussage alle Rezeptionsästhetiker und anverwandte Theoretiker auf den Plan rufen wird, dass das Lesen keineswegs ein passiver Vorgang sei.
Medientheoretiker, die mehr als die Literatur als gedruckten Text vor Augen haben, können geradezu bestätigen, dass das Lesen alles andere als ein passiver Vorgang ist, während man zum Beispiel von Fernsehbildern geradezu bombardiert werde. Zum Lesen muss man sich aufraffen. Was bitte schön ist also „passiv“ daran?
Passiv ist, dass man nicht selbst schreibt! Wozu aber die Idee eines Schreibhauses? Kann man nicht einfach schreiben, wann, wie und wo man Lust darauf hat? Ja, aber so ist das Schreiben ein einsames Geschäft. Die Ruhe, die man dazu ebenso braucht wie die Zurückgezogenheit wird auch schnell zur Einsamkeit, wenn man nicht gerade sowieso aus Einsamkeit zu schreiben begann.
Das Schreibhaus ist eine romantische und antiromantische Idee zugleich. Das ist sein Schicksal, seine innere Dialektik. Auf der einen Seite muss man auf sich gestellt und allein sich auf das Abenteuer des Schreibens einlassen. Andererseits ist da die Sehnsucht nach anderen Menschen, nach Kommunikation, nach Mitteilung; denn schließlich steht irgendwo die Frage im Raum: warum schreibt man?
Will man kommunizieren? Will man von anderen hören, wie die eigenen Gedanken und Geschichten, wie die eigene Sprache auf sie gewirkt hat, die man ihnen per Schrift mitgeteilt hat? Sucht man die Bestätigung und die Spiegelung?
Ich suche auf jeden Fall die Spiegelung. Ich halte soviel wie nur möglich fest, was mir durch den Kopf geht, um auch in einem Jahr oder einem Jahrzehnt mir diese Dinge wieder zu vergegenwärtigen. Mein Schreiben ist wie ein permanentes Selfiesproduzieren. Ich habe damit angefangen, lange bevor es das Internet gab, bevor man Bloggen konnte, ja bevor man überhaupt irgendwo in einer elektrifizierten Speicherkammer seine Texte abspeichern konnte. Ich schrieb auf einer mechanischen Schreibmaschine, hämmerte, was das Zeug hielt und war sogar von dem Geräusch, was ich damit produzierte begeistert. Noch immer höre ich das Ratschen, wenn das Schiff an den Anfang der nächsten Zeile zurück gezogen wird mit dem Hebel auf der rechten Seite. Und dann hämmerte es weiter und kurz vor dem Zeilenende ein Klingelton und dann wieder Ratsch - das Ganze hatte ein Gewicht und das Gewicht eine Bedeutung. Das ist mir noch immer Musik in den Ohren. Soweit das Loblied auf das analoge Zeitalter.
Ich entdeckte auch meine Liebe zum virtuellen Schreiben in der Digitalität: erst ein Speichersystem mit Disketten; der Text kam nicht sofort auf das Papier, das lästige Tippexen hatte ein Ende, das Ausschneiden und Neuzusammenkleben auch, man konnte mit dem Text viel freier arbeiten und viel freier Montieren, löschen, Kopieren, Ausschneiden, an einer anderen Stelle einfügen. Alles wurde leichter, bis die ersten Katastrophen passierten: aus Versehen löschte ich Texte, die ich unbedingt bewahren wollte. Auch mit dem Computer und den Textverarbeitungsprogrammen ging es so weiter: die Abstürze, die verlorenen Texte! Alles war ein Fluch und ein Segen zugleich!
Die Idee des Schreibhauses ist eigentlich auch ein Museum des Schreibens. Irgendwann Ende 60er und in den 70ern war es Mode, alles mit einer Werkstatt zu vergleichen, mit der Fabrik, mit der handfesten Arbeitswelt. So gab es Schreibwerkstätten, als müsste das Schreiben repariert werden. Auch davon hat das Schreibhaus etwas abbekommen, natürlich in einer dialektischen Absetzung. Das Schreiben ist Spracharbeit, Kopfarbeit und Denkarbeit und immer wieder Stilarbeit, wenn man das Wort „Arbeit“ überhaupt in diesem Zusammenhang haben will. Ich ging eher über zum Sportdiskurs: Talent, Fitness und Training; hier konnte man romantische Genialität, Übung und poetische Technik besser unterbringen.
„Arbeit“ macht sich selbst sehr wichtig - hat diese protestantische Tugendhaftigkeit, aber natürlich auch das Kapitalistische, das Entfremdete, aber auch das ökonomisch Wertvolle, Wichtige, gesellschaftlich Bedeutsame, während Müßiggang einfach aller Laster Anfang bleibt! Das Schmusen mit den Musen auf einer grünen Wiese, am See, am Meeresstrand, im Wald oder im Café in der Stadt - die Bohème lässt grüßen, das wurde den Ruch des Dekadenten nicht los! Und man sucht doch die Anerkennung, das Ernstgenommenwerden. Sonst bekommt man nicht den leisesten Hauch von Ruhe zum Phantasieren und Nachdenken. Wie lange hat es gedauert, bis ich mir diesen Platz im Leben erkämpfen konnte? Bis ich wirklich zum Schreiben fand.
Das ist nun mein Schreibhaus, my Home my Castle!
Und nun kann ich mir die Frage wieder neu stellen: Braucht das Schreibhaus die institutionelle Hülle irgendeiner Rechtsform?
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